Entwicklung und Umsetzung des Projekts Amaryllis

Ein Bericht des Architekturbüros Alte Windkunst, Herzogenrath

Von Birgit Siebenmorgen und Bodo Frömgen-Siebenmorgen

Zum ersten Kontakt zwischen dem Verein Amaryllis  und unserem Büro Alte Windkunst kam es im April 2005. Es war der Beginn einer intensiven dreijährigen Zusammenarbeit

Amaryllis interessierte sich zu diesem Zeitpunkt bereits für drei Grundstücke im Wohn- und Wissenschaftspark Vilich-Müldorf. Die Stadt Bonn und die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) als Grundstückbesitzer standen der Idee eines Mehrgenerationenprojektes wohlwollend gegenüber. Als Erstes galt es nun zu prüfen, ob und  in wie weit die Projektideen mit den Anforderungen des gültigen Bebauungsplans in Einklang zu bringen waren.

Gleichzeitig mussten die bereits vorhandenen Ideen zum Wohnprojekt weiter vorangebracht, neue Vereinsmitglieder geworben und die Trägerstruktur – hier: die Genossenschaft – entwickelt werden. Da also mehrere Dinge gleichzeitig angegangen werden mussten, bot es sich an, arbeitsteilig vorzugehen. Den Aufbau der Gruppe nahm Amaryllis selbst in die Hand, die Gründung der Genossenschaft bereitete die Wohnbundberatung in Bochum vor. Da wir von Anfang an intensiv in das Geschehen eingebunden waren, lernten alle Beteiligten einander sehr gut kennen. Die daraus resultierende Vertrautheit bot die Basis für eine gemeinsame, partizipatorische und prozessorientierte Planung  und Realisierung.

Ein Beispiel aus der Anfangszeit

Schon frühzeitig war die Idee entstanden, die Anzahl der Pkw im Mehrgenerationenprojekt zu reduzieren. Die behördlichen Vorgaben jedoch sehen einen Stellplatzschlüsssel von 1:1 je Wohnung vor. Die Stadt Bonn erwartete deshalb ein nachhaltiges Mobilitätskonzept als Voraussetzung, um die Befreiung von dieser Verpflichtung im Grundbuch festschreiben zu können.

Die Gesamtgruppe von Amaryllis beauftragte daraufhin eine kleine Untergruppe, die gewünschte Planung zu erarbeiten. Mit unserer Unterstützung erstellte diese ein schlüssiges Konzept, das die Behörde überzeugte. Nun konnte es als Baulast eingetragen und in den zukünftigen Mietverträgen verankert werden.

Workshops und viele Einzelgespräche

Der erste Workshop

Um den lebendigen Prozess der Entwicklung des Mehrgenerationenprojektes Amaryllis vorantreiben zu können, entschieden wir uns, mit der Gesamtgruppe in Wochenendworkshops zu arbeiten. Erste Ziele waren: Sich kennen  lernen, über Information Vertrauen herstellen und  eine tragfähige Arbeitsstruktur aufbauen.

Im Juni 2005 stellten wir uns in einem ersten Workshop vor und schilderten die planungsrechtlichen Grundlagen der gewählten Grundstücke.

Viele Gespräche

In dieser Zeit fanden Gespräche mit der LEG sowie dem Planungs- und dem Bauamt der Stadt Bonn statt, um die städtebaulichen und bauordnungsrechtlichen Möglichkeiten auszuloten. Der Verein Amaryllis  beauftragte die Wohnbundberatung mit der Aufstellung eines Finanzierungskonzeptes und der Vorbereitung der Genossenschaftsgründung. Gleichzeitig wurden neue Mitglieder für den Verein geworben. Die Interessenten kennen zu lernen  erforderte sehr viel Zeit und zahlreiche Gespräche. Das war notwendig, da neue Mitglieder nur mit Zustimmung aller Bau- und Wohnwilligen in die Gruppe aufgenommen werden konnten.

Ehrgeiziges Ziel: Individuelle Zufriedenheit

Im Juli 2005 organisierte die Planungsgruppe ( bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat der neu gegründeten Genossenschaft Amaryllis eg i.Gr.) einen zweiten Workshop. Unser Büro übernahm die Gestaltung und legte die Tagesordnung fest. An diesem Wochenende erarbeiteten wir die gemeinsamen Ziele der Gruppenmitglieder und erstellten  ein städtebauliches Modell von der Anlage. Außerdem machten wir erste spannende Versuche, für sich die passende Lage der eigenen Wohnung auszusuchen. Dazu legten wir den Umriss der Gebäude mit großen Papp-Bahnen auf dem Fußboden aus. Das ermöglichte den künftigen Bewohnern, sich die verschiedenen Standorte nicht nur gedanklich vorzustellen, sondern durch „Begehen“ deren Vor- und Nachteile zu erspüren. Am gleichen Wochenende baten wir die einzelnen Parteien, ihren Wunsch-Grundriss selbst auf Papier zu bringen. Ehrgeiziges Ziel war die individuelle Planung jedes Grundrisses mit den einzelnen Bewohnern. Wir entwickelten deshalb ein bauliches und statisches Konzept, das eine Vielfalt an Wohnungstypen und –größen zuließ. Die Entscheidung über den gewünschten baulichen Standard lag – nach Abwägung ökologischer und ökonomischer Aspekte – dann bei der Gesamtgruppe Amaryllis.

Bauabwicklung selbst in die Hand nehmen

Unser Büro empfahl der Gruppe, auf einen Bauträger zu verzichten und die Bauabwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Drei Gründe waren dafür ausschlaggebend:

  1. Die optimale Umsetzung des insgesamt unkonventionellen  Planungsprozesses konnte  gewährleistet werden.
  2. Die Realisierung des Bauvorhabens in Eigenregie förderte das Zusammenwachsen der Gruppe  – mit positiven Auswirkungen auf das spätere gemeinsame Wohnen.
  3. Durch die Selbstorganisation verringerten sich die Baukosten um zirka 10 Prozent.

Neue Mitglieder und erste bauliche Entscheidungen

In einem weiteren Workshop Anfang September 2005 war die Gruppe bereits stark angewachsen. Dies machte erforderlich, die Verortung der einzelnen Wohnungen in den drei Blocks unter Berücksichtigung der bereits theoretisch entwickelten Wohnungstypen und deren Größen neu festzulegen. In diesem Workshop stellte unser Büro erste bauliche Alternativen zu Grundsatzentscheidung vor, z.B. Keller, ja oder nein, Tiefgarage, ja oder nein. Um den künftigen Bewohnern die Entscheidungsfindung zu erleichtern, bedienten wir uns möglichst anschaulicher Mittel. So machten wir zum Beispiel Vor- und Nachteile von Gauben und Dachneigungen dadurch erfahrbar, dass wir die reale Dachhöhe und Neigung an einer Wand markierten.

Ziele nicht aus den Augen verlieren

Inzwischen war die Genossenschaft gegründet, die Bauvoranfrage gestellt, der Finanzplan aufgestellt und der Gruppenaufbau  in vollem Gange. In einem Workshop im Januar 2006 Januar ging es darum, inmitten der Betriebsamkeit die gemeinsamen Werte und Ziele der Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren. Wir beschäftigten uns deshalb  schwerpunktmäßig mit der Rückbesinnung  auf die Inhalte des Projektes und damit, diese für die Gemeinschaft spürbar zu machen.

Der von uns vorgestellte Zeitplan zeigte, dass die Realisierung des Projektes immer näher rückte. In verschiedenen AGs bündelten wir das Potential an Fähigkeiten, das in und um die Gruppe herum existierte. Es entstanden die Arbeitsgruppen Bau, Öffentlichkeitsarbeit, Kinderbetreuung, Selbsthilfe, Außenanlagen und einige mehr.

Detailplanung

In einem Workshop im Februar 2006 wurden Gemeinschaftsbereiche bis hin zu Zahl und Häufigkeit der Nutzung von Waschmaschinen durchgeplant. Die Außenanlagen wurden auf Fahrradständer und Mülltonnenzahlen hin durchgecheckt. Die AG-Bau beschäftigte sich mit den Materialien von Dächern, Wänden und Fenstern.

An zwei weiteren Wochenenden im März ging es um die Details der einzelnen Grundrisse.

Jetzt konnten Aufträge an die Fachingenieure vergeben, die einzelnen Gewerke ausgeschrieben und erste Kostensicherheit erlangt werden. Nachdem die Genehmigung der Bauvoranfrage  vorlag, wurde der Bauantrag gestellt.

In einem Workshop im Juni 2006  berieten wir mit Unterstützung der Fachingenieuren für Heizung, Lüftung und Sanitär das Energiekonzept. Der Standard für die einzelnen Wohnungen wurde festgelegt.

Konzept Eigenleistung

Noch im Juni verständigte sich die Gruppe an einem weiteren Wochenende auf die Bewertung der von den Bauherren eingebrachten Eigenleistung. Eine Reihe von Fragen waren zu klären: Wie viel Eigenleistung muss im Rahmen des Finanzierungskonzeptes erbracht werden? Wie viel Selbsthilfe kann jede Partei einbringen? Welche Arbeit kann/will sie leisten? Wie wird die Selbsthilfe bewertet? Die Gruppe kam zu bemerkenswerten Ergebnissen, darunter diesen:

  • Kinderbetreuung sollte genauso hoch bewertet werden, wie jede andere Arbeit.
  • Für die Verrechnung der Eigenleistung wurde die Werteinheit „Baurillo“ erfunden. (Anmerkung der Redaktion: das Baurillo-Konzept wurde später verworfen, da festgestellt wurde, dass eine „gerechte“ Verteilung der Eigenleistungen nicht realisierbar war)

Werkplanung der Einzelgrundrisse

Mit der organisatorischen Unterstützung des Vorstands führten wir an zwei Wochenenden im Juli Einzelgespräche mit allen bauwilligen Parteien. Dabei ging es um die Ausführungsplanung für die jeweilige Wohneinheit. Das erklärte Ziel, eine größtmögliche individuelle Zufriedenheit der künftigen Bewohner zu erreichen, erwies sich für uns Architekten als Gradwanderung. Auf der einen Seite galt es, allen individuellen Wünschen möglichst nachzukommen, auf der anderen, die Kosten im Griff zu halten. Durch ein hohes Maß an Transparenz und Kommunikation konnten auch hier Konflikte weitgehend vermieden werden.

Workshop Fensterfarben…

Der September 2006 begann mit einem neuerlichen Workshop bei dem zahlreichen Einzelentscheidungen zu fällen waren. So mussten zum Beispiel die Fensterfarben ausgewählt werden. Als durchaus komplex erwies es sich, einen Entschluss darüber herbeizuführen, ob und gegebenenfalls wo Fenster-Rolläden zugelassen würden. Wieder bemühten wir uns, Entscheidungen durch größtmögliche Anschaulichkeit zu erleichtern. Beispielsweise verteilten wir Auswahlstücke von Materialien auf dem Boden und baten die Gruppenmitglieder, sozusagen mit den Füßen abzustimmen, sprich, sich zu ihren Favoriten zu begeben. Diese Art der Abstimmung führte oft zu erstaunlich klaren Ergebnissen.

Workshop Installation

Unmittelbar an die Grundsteinlegung am 24. November 2006 schloss sich ein weiteres Planungswochenende für die Großgruppe an. Thema war jetzt die Lage von Heizkörpern, Sanitärgegenständen, Steckdosen, Schaltern, Telefonanschlüssen und Antennen zu bestimmen.

Bauorganisation

Nachdem die Baugenehmigung am 18. Oktober 2006 erteilt worden war, begann mit dem Baustart am 6. November eine für alle Beteiligten äußert arbeitsintensive Zeit, in der eine Entscheidung nach der anderen gefällt werden musste. Wöchentlich trafen wir uns sowohl mit der Planungsgruppe als auch mit der Bau-AG .

Die Planungsgruppe, in der Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft vertreten waren, übernahm die Vergabe von Bauaufträgen. Sie sorgte außerdem dafür, dass Entscheidungswege strukturiert wurden, indem sie Aufgaben an Untergruppen delegierte  und Vorlagen für die Großgruppe erarbeitete.

Die Bau-AG war zuständig für die Organisation der Selbsthilfe. Sie bereitete bauliche Entscheidungen für die Großgruppe vor, indem sie zum Beispiel unterschiedliche Materialien vorstellte. Sie setzte sich für die Einhaltung sozialer Standards für die beauftragten Handwerker ein, übernahm Teile der Bauleitung und Abnahme und sorgte für Transparenz gegenüber der Gesamtgruppe. Schließlich hatte sie die nicht immer ganz einfache Aufgabe, zwischen den Perspektiven der Bauherren und unseren als Architekten und Bauleitern zu vermitteln. Bei all dem galt es, die Ziele der Gruppe und insbesondere den Finanzrahmen im Auge zu behalten.

Die Bauleitung insgesamt lag bei unserem Büro. Sie beinhaltete neben vielem Anderem das Einholen von Angeboten, die Ausführungsplanung und die ständige Kontrolle der Baustelle. Auch wir hatten zudem eine Vermittlerrolle auszufüllen: Zwischen den Handwerkern und den Bauherren, für die wir jeweils als Ansprechpartner fungierten.

Workshop Fliesen

Im fertig gestellten Rohbau trafen wir uns im Juni 2007 mit den Bauherren zu einem Workshop, bei dem es um die Auswahl von Wand- und Bodenfliesen ging. In Vorbereitung dazu hatte die Baugruppe eine Ausstellung mit verschiedenen Materialien organisiert und Informationen dazu eingeholt. Ein Ergebnis dieses Treffens: Bezüglich der Bäderfliesen einigte man sich auf drei Größen und Farben, aus denen jede Partei nach Wunsch auswählen konnte.

Im Anschluss an das Großgruppentreffen setzten wir uns mit den einzelnen Parteien zur individuellen Beratung zusammen.

Ende gut…

Im September 2007 wurden die ersten zwei Blocks der Amaryllis-Anlage bezogen, im Januar 2008 schließlich der dritte. Die Außenanlagen, von uns gemeinsam mit einem Gruppenmitglied (Garten-und Landschaftsbauer) entworfen und größtenteils in Selbsthilfe erstellt, sind seit dem Frühjahr 2009  fertig. Nun beginnt das große Folgevorhaben des Zusammenlebens.

Auch für uns ist das Amaryllis-Projekt keineswegs abgeschlossen. Während seiner Entwicklung und Realisierung haben wir viele Erfahrungen gemacht und Einsichten gewonnen, die in unsere weitere Arbeit einfließen. Wir werden Amaryllis auch zukünftig mit Interesse begleiten und sind auf seine Entwicklung gespannt.