Der Erdüberlastungstag fällt in diesem Jahr schon auf den 1. August: ab jetzt leben wir auf Kosten der zukünftigen Generationen. Wir verbrauchen mehr Resourcen und verschmutzen mehr die Umwelt als uns – auf den Zeitraum eines Jahres umgerechnet – zusteht.
Wir – die Bewohner*innen und Mitglieder der Amaryllis eG – versuchen dem ganz praktisch entgegen zu wirken. Die Autorin Anita Horn hat uns besucht um dem nach zu gehen. Hier kann das Ergebnis – gesendet im Radio WDR5, NEUGIER GENÜGT; am 31.7.2018 / Redaktion: Heiko Hillebrand / Moderation: Achim Schmitz-Forte – nachgehört und nachgelesen werden:
Welterschöpfungstag – geht es auch anders?
(Text und Bilder: Quelle WDR 2018/ Anita Horn)
Am 1. August ist Welterschöpfungstag. Das heißt, ab dann leben wir auf Kosten der Ressourcen nachfolgender Generationen. Eine Gruppe von 60 Bonnern will das nicht akzeptieren.
Um den Welterschöpfungstag zu ermitteln, stellt das Global Footprint Network die natürlichen Ressourcen der Erde dem Verbrauch genau dieser Ressourcen durch die Weltbevölkerung gegenüber. Die Erde kann den Verbrauch von Wäldern und Ackerland und den Ausstoß von CO2 nicht so schnell kompensieren, wie wir ihn verursachen.
Der Vergleich macht schnell deutlich: Wir leben deutlich über unsere Verhältnisse und vergessen, dass wir nur einen Planeten haben und diesen immer mehr ausbeuten. Nimmt man den Verbrauch der Gesamtbevölkerung, bräuchten wir eigentlich 1,7 Erden für unseren aktuellen Bedarf an Energie und Ressourcen. Die haben wir aber nicht.
Wohngemeinschaft „Amaryllis“
Nachhaltigkeit kann auch Spaß machen. Vor allem, wenn alle an einem Strang ziehen – so wie die 60 Bewohner in der Bonner Wohngemeinschaft „Amaryllis“ – eine Art „grüne Siedlung“ – nicht nur mit ihren Ideen für einen nachhaltigeren Alltag, sondern mit ihrer fröhlichen Lebenseinstellung.

Michael Schneider ist Mitbegründer der Amaryllis eG in Bonn – einer nachhaltigen Siedlung in Vilich-Müldorf. Der Agraringenieur ist 56 Jahre alt und möchte nachhaltig leben. Baubeginn war 2006, ein Jahr danach ist er mit seiner Frau und drei Kindern eingezogen.

Damit alles rund läuft, gibt es für alle Bewohner der Amaryllis eG Aufgaben: einen Aufsichtsrat, einen Vorstand, eine Finanz-AG, die Garten-AG und die AG für Gemeinschaftszeit. Außerdem gibt es Einzelaufgaben wie die Wartung der Aufzüge und elektrischen Türen, die Pflege der Gemeinschaftsbibliothek und des Kinderspielzeugs für alle.

Gudula Hancock in der blauen Bluse lebt auch von Anfang an in der Siedlung und hat das Mobilitätskonzept mit entwickelt. Irmgard Lehnhoff-Schwarz nutzt sogar ihr Badewasser zum Blumengießen und Silke Gross findet, es müsste wieder menschlicher werden auf der Welt. Das wäre nachhaltiger für alle.

In der Amaryllis eG stehen Shampoo- und Waschmittel-Kanister im Keller, so dass alle Bewohner sich etwas abfüllen können. Das spart Verpackungsmüll und weite Wege – und für eine persönliche Duftnote mischt Gudula Hancock gerne Rosmarin unter.

Die drei Häuser haben alle den Energiestandard KW40 – sind also Niedrigenergiehäuser mit einem Verbrauch von maximal 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr. Sie müssen eine gewisse Qualität an Dämmmaterial aufweisen und sind alle so geplant, dass z.B. der Wasserkreislauf pro Haus kurze Wege hat. Von außen ist alles begrünt und gepflegt, so dass sich hier alle wohlfühlen.

Insgesamt wohnen 45 Erwachsene und 15 Kinder in den Häuserblöcken. Es gibt einen großen Gemeinschaftsgarten mit Obstbäumen und Gemüse und die Nachbarn sind über das Erdgeschoss und den Rundumgang auf der ersten Etage gut erreichbar.

In der spontan zusammen gefundenen Nachbarsrunde diskutieren die Bewohner über den Welterschöpfungstag. Ist alles was sie tun ein Tropfen auf den heißen Stein? Finden sie nicht, denn zum einen schöpfen sie Energie daraus und zum anderen muss ja jemand den Anfang machen.

Die Stadt ist unser Garten, heißt es auf einem Willkommensschild. Um diesen Garten herum gibt es nur wenige Autostellplätze, dafür weniger Lärm, mehr Sicherheit, mehr Raum für Miteinander und ganz nebenbei deutlich weniger CO2-Ausstoß. Die nachhaltige Variante soll eben die bessere sein: weniger Autos, mehr Räder. 75 Fahrradabstellplätze gibt es in der Siedlung. Die Anhänger für Kinder werden geteilt.

Ebenso geteilt werden Obst und Gemüse. Wer mag, pflückt etwas. Es handelt sich aber weder um eine solidarische Landwirtschaft, in der alle für alle säen und ernten, noch um eine autonome Versorgung. Gepflegt wird der große Garten vor der Amaryllis-Siedlung vom Verein „Wohnen im Quartier“ und allen Bewohnern, die Lust darauf haben.
Nach Einschätzung der Vereinten Nationen wird der Bedarf an „Erden“ sogar stark ansteigen. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf sieben Milliarden Menschen anwachsen. Auch die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Bei unserer Nachfrage nach Energie, Lebensmitteln und anderen Konsumgütern werden wir noch vor 2050 die Ressourcen von drei Erden benötigen.
Die Bewohner der Amaryllis-Siedlung in Bonn möchten das nicht hinnehmen. Dort leben 45 Erwachsene und 15 Kinder in einem Wohnkomplex, um dazu bei zu tragen, den Welterschöpfungstag wieder nach hinten zu verschieben. Sie teilen sich mit den Nachbarn der Siedlung Autos und Gefrierfächer, gärtnern gemeinsam und füllen Shampoo und Seifen aus großen Kanistern im Keller in eigene Schälchen ab, um weniger Müll zu produzieren. Sogar das schaumfreie Badewasser wird zum Blumengießen wiederverwertet. Es geht eben auch anders.
Autorin: Anita Horn
Redaktion: Heiko Hillebrand
Anmerkung von Amaryllis – um Missverständnissen vorzubeugen:
Wir danken dem WDR und besonders Anita Horn für die gut gelungene Sendung, die anschaulichen Bilder und schönen Beschreibungen auf der begleitenden Webseite. Eines müssen wir jedoch klarstellen: Amaryllis ist natürlich keine „Wohngemeinschaft“ im klassischen Sinn, sondern ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt in der Rechtsform einer selbstverwalteten und selbstverantwortlichen Wohngenossenschaft. Jede/r Mitbewohner*in hat seine/ihre abgeschlossene Wohnung und Rückzug dorthin ist möglich und gewollt. Diese Wohnungen gewährleisten sicheres und preiswertes Wohnen als besonders wichtigen Beitrag zum nachhaltigem Leben.